REVIEW Konferenz

Navigieren im Postdigitalen
sound:frame x AIL

english version below

 

Am 16. Januar 2020 fanden sich auf Einladung von sound:frame und AIL / dieAngewandte in etwa 150 Teilnehmer*innen im AIL – Angewandte Innovation Lab ein, um über den postdigitalen Zustand unserer Gesellschaft zu sprechen.

Gemeinsam mit Künstler*innen und Wissenschaftler*innen wurde diskutiert, welche Erkenntnisse die disziplinenübergreifende Zusammenarbeit von Kunst und Wissenschaft bringt, wenn es darum geht, mögliche Parameter für die Gestaltung unserer Zukunft zu finden.

 

Die Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler eröffnete die Konferenz mit einer Rede zur Bedeutung des interdisziplinären Austauschs, der gesellschaftlichen, inhaltlichen Orientierung und künstlerischen Positionierung zu Themen der Digitalisierung und des digitalen Humanismus.

Veronica Kaup-Hasler

Danach führte Eva Fischer (Leiterin und Kuratorin sound:frame) als Initiatorin und Moderatorin der Konferenz in den Tag ein:

Es geht darum das Digitale weder zu verherrlichen noch zu verteufeln, sondern zu verstehen, wie seine Mechanismen funktionieren. Entscheidend ist, dass wir uns alle das richtige Handwerkszeug zulegen, um selbst in einer aktiven und gestaltenden Rolle zu bleiben. Das kann funktionieren, indem wir uns Expertisen aus anderen Disziplinen holen, gemeinsam arbeiten und unterschiedliche Arten des Erkenntnisgewinns miteinander abgleichen und verbinden.

Der Künstler und Lecturer Martin Kusch (dieAngewandte, kondition pluriel) präsentierte in seiner Keynote eine Auswahl künstlerischer Arbeiten der digitalen Klasse der Universität für Angewandte Kunst, sprach über die Agenda der Angewandten als „University of the Future“ und bezog Stellung zum Artistic Research und dessen Chancen und Herausforderungen: lassen sich Künstler*innen heute zu sehr in die Rolle „domestizierter Künstler*innen“ drängen? Wieviel Stellungnahme zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen ist angebracht und wo liegen dabei die Grenzen?

Martin Kusch

Die Dramaturgin und Theaterwissenschaftlerin Stefanie Schmitt (Universität Wien) sprach in ihrer Keynote über die Kommunikation durch und über das Digitale, über mediale Bühnen sowie das Navigieren im digitalen Nebel und postulierte: „I miss my pre-internet brain“. Sie unterstrich die Bedeutung der Kunst in einer widerständigen Position, die es künstlerischen Positionen ermögliche, allzu einfache und bequeme Antworten etwa auf die Frage, was mit unser aller Daten passieren solle, zu durchkreuzen.

Stefanie Schmitt

Im ersten Zwiegespräch der Professorin für Moderne und Zeitgenössische Kunst Katja Kwastek (Professor of Modern and Contemporary Art | Vrije Universiteit Amsterdam) mit der Künstlerin und Researcherin Lucie Strecker (Artist and Researcher, Hybrid Art | Art & Science, dieAngewandte Vienna) wurde eine Grundlage zur Diskussion über Begriffe wie “Postdigitale Kondition”, „Environmental Humanities“ oder „Hybrid Art” gelegt. Lucie Strecker präsentierte unter anderem ihre Arbeit „BRAIN’S SHIT FOR SHIT BRAINS“, die auch in der Ausstellung zu sehen war und sprach über genetische Manipulation, Fermentationsprozesse, die Performativität von Materie und das “Biofakt”.

Seit jeher ist es eine Aufgabe der Kunst, sichtbar zu machen, Wege der Darstellung unserer Welt anzubieten und eine Reflexion über deren Funktionszusammenhänge anzuregen. Postdigitale Kunst macht die zunehmende Verschmelzung digitaler Technologien mit der alltäglichen Umwelt zum Thema, um sie möglicherweise, aber nicht zwingend, kritisch zu reflektieren. (Katja Kwastek)

Vor ihrem Background als Kunsthistorikerin gab Katja Kwastek einen Überblick über die Begrifflichkeit des Postdigitalen und setzte diese in einen aktuellen künstlerischen und gesellschaftlichen Kontext.

Katja Kwastek, Lucie Strecker, Eva Fischer

In einem zweiten Dialog sprachen der Londoner Künstler Barnaby Steel (Immersive Artist | Marshmallow Laser Feast London) und die Leiterin der Abteilung für Science Communication des Fraunhofer MEVIS Bianka Hofmann (Science Communication, Project Development & Creative Production | Fraunhofer MEVIS Bremen) über ihre Zugänge zu Artistic Research und ihre konkrete Zusammenarbeit. Die beiden diskutierten über die Möglichkeiten, neue Technologien und STEM durch Kunst in neue Kontexte zu setzen und sprachen über „embodied learning“ und ihr gemeinsames Projekt „THE GIANT HUMAN“, in dem man sich auf eine immersive Reise ins Innere des menschlichen Körpers begeben wird.

Bianka Hofmann, Barnaby Steel

Am Nachmittag stellten die Künstlerin Margarete Jahrmann (Artist | Ludic-Society, Game Design ZHDK Zurich, Artistic Research dieAngewandte Vienna) und der Neurowissenschaftler Stefan Glasauer (Computational Neuroscientist | BTU Cottbus, Bernstein Center Munich) ihre gemeinsame Arbeit vor, in der sie sich mit dem aktuellen Status Quo der künstlichen Intelligenz auseinandersetzen. Die Installation „I WANNA SEE HAPPY MONKEYS“, die auch in der Ausstellung zu sehen war, zeigt auf spielerische Weise, wie ein deep dreaming / machine learning Algorithmus „träumt“ und wie ein Face Tracking System uns als Besucher*innen einordnen kann. Margarete Jahrmann gab einen Einblick in ihren Artistic Research, ihren Zugang der Ludic Art sowie ihre Exkurse in andere Wissenschaftsdisziplinen wie die Neurowissenschaft.
Auf die Frage, ob wir uns in Zeiten des Informationsüberflusses und der Aufmerksamkeitsökonomie tatsächlich Sorgen um unsere Gehirn-Kapazitäten machen müssten („I miss my pre-internet brain“), beruhigte Stefan Glasauer aus Sicht der Neurowissenschaft schmunzelnd: „Nein! Um unser Gehirn brauchen wir uns definitiv keine Sorgen zu machen! Zum einen müssen wir heute neue Dinge lernen, wie “Wo finde ich die Informationen, die ich gerade brauche?” und zum anderen benutzt unser Gehirn den Großteil seiner Kapazitäten ohnehin für alltägliche Handlungen wie, den Weg von A nach B zu finden, oder die Türklinke in korrekter Weise zu benutzen, und nicht etwa dafür, wo Sie denken, dass es nützlich wäre…“

Stefan Glasauer, Margarete Jahrmann

In einem abschließenden Dialog sprachen der Sound Artist und Researcher Thomas Grill (Machine Learning, “Rotting sounds” funded by Austrian Science Fund (FWF), project AR445-G24 | ELAK) und der Researcher Arthur Flexer (OFAI, Intelligent Music Processing and Machine Learning Group) über Sound Art, Kuratierung – Machine Learning und Limits der Kontrolle. Neben einem Einblick in die Prozesse des machine learnings und in Begriffe wie „ground truth“ (Grundwahrheit), „computational creativity“ oder „explainability“ sprachen die beiden über das Spannungsfeld zwischen Kunst/ künstlerischem Ausdruck und mathematischer und maschineller Berechenbarkeit. Das „Problem des Klugen Hans“ wurde als Sinnbild dafür genannt, dass die künstliche Intelligenz derzeit für klüger gehalten wird, als sie tatsächlich ist und wir uns dessen bewusst sein sollten, dass machine learning Algorithmen einzig und allein mit jenen Daten und Regeln arbeiten können, mit denen wir sie füttern.

Stefan Grill, Arthur Flexer, Eva Fischer

Entscheidend ist demnach, dass wir uns alle bewusst darüber werden, dass es an uns gemeinsam liegt, die richtigen Entscheidungen zu treffen, wenn es um die Frage geht, welche Daten wir zur Verfügung stellen wollen und mit welcher „Grundwahrheit“ wir arbeiten.

 

Ein Sound-Zusammenschnitt der Conference folgt in Kürze!

Näheres zur Ausstellung hier: AUSSTELLUNGSRUNDGANG

 

 

Team

Leitung: Eva Fischer (sound:frame)

Research: Stefanie Schmitt (Universität Wien)

Beratung: Alexandra Graupner (AIL)

Produktion: Eva Weber (AIL), Elisabeth Falkensteiner (AIL), Carina Lindmeier (sound:frame), Angie Pohl (sound:frame), Ella Guggenbichler (sound:frame), Antonia Pytel (sound:frame)

Fotos: Claudio Farkasch / belichten.com

Thanks to: Concept Solutions, Jürgen Weishäupl, Heinz Wolf, 101 – Coding & Design, Diagonale – Festival des österreichischen Films

sound:frame – Immersive Art agiert als interdisziplinäre Schnittstelle und fördert die Verschränkung von Kunst, Wissenschaft und Technologie.

Eine Kooperation von sound:frame & AIL

Gefördert durch das Referat für Wissenschafts- und Forschungsförderung, MA 7 | Kulturabteilung der Stadt Wien

 

 

ENGLISH

On January 16, 2020, sound:frame and AIL / dieAngewandte invited to the AIL – Angewandte Innovation Lab. Bbout 150 participants came to talk about the post-digital state of our society.
Together with artists and scientists, they discussed the insights that an interdisciplinary exchange of art and science brings when it comes to finding possible parameters for shaping our future.

The City Councillor for Culture, Veronica Kaup-Hasler, opened the conference with a speech on the importance of interdisciplinary exchange and artistic positioning on digitisation and digital humanism.
Then Eva Fischer (director and curator sound:frame) introduced the day as initiator and moderator of the conference:

The aim is not to glorify or demonize the digital, but to understand how its mechanisms work. It is crucial that we all acquire the right tools to remain active and creative ourselves. This can work by drawing on expertise from other disciplines, working together and comparing and combining different ways of gaining knowledge.

The artist and lecturer Martin Kusch (dieAngewandte, kondition pluriel) presented in his keynote a selection of artistic works from the digital class of the University of Applied Arts, spoke about the agenda of the Angewandte as a “University of the Future” and took a stand on artistic research and its opportunities and challenges: are artists today being pushed too much into the role of “domesticated artists”? How much opinion on current social and political issues is important and where are the limits?

In her keynote speech, the dramaturge and theatre scientist Stefanie Schmitt (University of Vienna) spoke about communication through and about the digital, about media stages and navigating in the digital fog and postulated: “I miss my pre-internet brain”. She underlined the importance of art in a resistant position, which enables artistic positions to thwart all too simple and convenient answers, for example to the question of what should happen to all our data.

In the first dialogue between Katja Kwastek (Professor of Modern and Contemporary Art | Vrije Universiteit Amsterdam) and the artist and researcher Lucie Strecker (Artist and Researcher, Hybrid Art | Art & Science, dieAngewandte Vienna), a basis was laid for a discussion on concepts such as “post-digital condition”, “environmental humanities” or “hybrid art”. Lucie Strecker presented, among other things, her work “BRAIN’S SHIT FOR SHIT BRAINS”, that could also be seen in the exhibition, and spoke about genetic manipulation, fermentation processes, the performativity of matter and the “biofact”.

It has always been a task of art to make visible, to offer ways of representing our world and to stimulate reflection on its functional relationships. Post-digital art makes the increasing fusion of digital technologies with the everyday environment a subject for possible, but not necessarily critical reflection. (Katja Kwastek)

As an art historian, Katja Kwastek gave an overview of the concept of the post-digital and placed it in a current artistic and social context.

In a second dialogue, the London-based artist Barnaby Steel (Immersive Artist | Marshmallow Laser Feast London) and the head of the Science Communication department of Fraunhofer MEVIS Bianka Hofmann (Science Communication, Project Development & Creative Production | Fraunhofer MEVIS Bremen) spoke about their approaches to artistic research and their collaboration. The two discussed the possibilities of placing new technologies and STEM in new contexts through art and talked about “embodied learning” and their joint project “THE GIANT HUMAN”, in which they will embark on an immersive journey into the interior of the human body.

In the afternoon, the artist Margarete Jahrmann (Artist | Ludic-Society, Game Design ZHDK Zurich, Artistic Research dieAngewandte Vienna) and the neuroscientist Stefan Glasauer (Computational Neuroscientist | BTU Cottbus, Bernstein Center Munich) presented their joint work, in which they deal with the current status quo of artificial intelligence. The installation “I WANNA SEE HAPPY MONKEYS”, which was also shown in the exhibition, playfully shows how a deep dreaming/machine learning algorithm “dreams” and how a face tracking system can classify us as visitors. Margarete Jahrmann presented her approach to Ludic Art and gave an insight into her artistic research and her excursions into other scientific disciplines such as neuroscience.
When asked whether we really have to worry about our brain capacities in times of information overload and the attention economy (“I miss my pre-internet brain”), Stefan Glasauer reassured with a smile from the perspective of neuroscience: “No! We definitely do not have to worry about our brain! On the one hand, we have to learn new things today, like “Where can I find the information I need right now?” and on the other hand, our brain uses most of its capacities anyway for everyday activities like finding the way from A to B, or using the door handle in the right way, and not for where you think it would be useful…”.

In a concluding dialogue, sound artist and researcher Thomas Grill (Machine Learning, “Rotting sounds” funded by Austrian Science Fund (FWF), project AR445-G24 | ELAK) and researcher Arthur Flexer (OFAI, Intelligent Music Processing and Machine Learning Group) spoke about sound art, curating – machine learning and limits of control. Besides an insight into the processes of machine learning and terms such as “ground truth”, “computational creativity” or “explainability”, the two spoke about the tension between art/artistic expression and mathematical and machine calculability. The “problem of clever Hans” was cited as a symbol that artificial intelligence is currently considered smarter than it actually is and that we should be aware that machine learning algorithms can only work with the data and rules we feed them with.

It is therefore crucial that we all become aware that it is up to us all to make the right decisions when it comes to what data we want to make available and what “basic truth” we are working with.

A sound summary of the conference will follow shortly!

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